Geschichte

Am Anfang war die Erforschung der Elemente ...

Die historische Entwicklung der Kryokonservierung ist voller spannender Geschichten. Einige davon finden Sie auf den Seiten unserer Mitglieder.
Andere möchten wir Ihnen als „Meilensteine“ der Entwicklung hier vorstellen:

1772

Während seines Medizinstudiums erhielt der Schotte Daniel Rutherford (3. November 1749 – 15. Dezember 1819) von seinem damaligen Professor Joseph Black (16 April 1728 – 6 Dezember 1799) eine bis dahin ungelöste Forschungsaufgabe: Bei seiner Untersuchung der Eigenschaften von Kohlendioxid hatte Black festgestellt, dass eine Kerze darin nicht brannte. Sein Student Rutherford sollte nun mehr über die Bestandteile der Luft und deren Eigenschaften herausfinden.

Dazu hielt Rutherford eine Maus in einem Raum mit begrenzter Luftmenge, bis sie starb. In der verbliebenen Luft, entzündete er eine Kerze und lies sie brennen, bis ihre Flamme erlosch. Danach entzündete er Phosphor bis dieser ebenfalls nicht mehr brennen wollte. Schließlich leitete er die auf diese Weise vom Sauerstoff befreite Luft durch eine Kohlendioxid absorbierende Lösung.

Das verbleibende Gas (von dem wir heute wissen, dass es hauptsächlich aus Stickstoff bestanden haben muss) nannte Rutherford “schädliche Luft” („noxious air“) oder “phlogistische Luft” („phlogistic air“)

Fun-Fact:

Daniel Rutherford war ein Onkel (mütterlicherseits) des schottischen Dichters und Schriftstellers Sir Walter Scott (https://www.britannica.com/biography/Walter-Scott), der das bis heute beliebte Genre des „historischen Romans“ mit Werken wie „Ivanhoe“ in England begründete.

1883

Zygmunt Florenty Wróblewski (28. Oktober 1845 – 16. April 1888) war ein polnischer Chemiker und Physiker, dessen akademische Karriere ihn über Deutschland nach Straßburg, Paris und schließlich an die Jagiellonen-Universität in Krakau führte. Dort übernahm er 1882 einen Lehrstuhl an dem er mit Karol Olszewski zusammentraf.

Karol Stanisław Olszewski (* 29. Januar 1846 – 24. März 1915) war ebenfalls polnischer Chemiker, Mathematiker und Physiker. Er dozierte im Bereich der Analytischen und der Anorganischen Chemie – zunächst ab 1876 als außerplanmäßiger und ab 1891 als ordentlicher Professor.
Im Frühjahr des Jahres 1883 – die Quellen sind uneinig darüber, ob am 29. März oder am 9. April – gelang Wróblewski und Olszewski erstmals die statische Verflüssigung von Sauerstoff und Stickstoff aus der Luft.

Dabei stützten sie sich auf die Erkenntnisse von Louis Paul Cailletet (https://physik.cosmos-indirekt.de/Physik-Schule/Louis_Paul_Cailletet) zur Verflüssigung der sogenannten „permanenten Gase“ Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Luft. Bis zu diesem Zeitpunkt war die damalige Wissenschaft davon ausgegangen, dass diese Stoffe ausschließlich gasförmig existieren. Umso bahnbrechender war der Erfolg, dass Cailletet sie in seinem Labor unter hohem Druck und großer Abkühlung am 2. Dezember 1877 erstmals zur Verflüssigung bringen konnte. Dazu kühlte er stark komprimierte Luft durch flüssiges Äthylen bis auf -105 °C ab und beobachtete während des Entspannens der Luft das Entstehen von Tröpfchen und ein lebhaftes Wallen der halb flüssigen, halb gasförmigen Masse. Leider waren die so herbeigeführten Kondensationserscheinungen stets nur von momentaner Dauer. Erst wenn es gelingen würde, die Luft als Flüssigkeit dauernd zu erhalten, könnte man die Eigenschaften der flüssigen Luft studieren und sie als Kältemittel nutzen.

Genau dieses gelang den beiden polnischen Forschern 1883 durch Anwendung eines kleinen, aber entscheidenden Kunstgriffs: durch Verdampfung des flüssigen Ethylens im Vakuum erzeugten sie eine noch um 47 °C tiefere Temperatur als diejenige, mit der Cailletet gearbeitet hatte. Damit erreichten sie die sogenannte „kritische Temperatur“ der Luft. Sauerstoff und bald darauf auch Stickstoff wurden erstmals als klare wasserähnliche Flüssigkeit erhalten.

Die Erkenntnisse von Wróblewski und Olszewski bildeten zusammen mit der Nutzung des bereits 1862 von James Prescott Joule und Sir William Thomson beschriebenen Joule-Thomson-Effekts (https://www.chemie-schule.de/KnowHow/Joule-Thomson-Effekt) die Grundlage für die 1895 von Carl von Linde entwickelte und nach ihm „Linde-Verfahren“ (https://www.chemie-schule.de/KnowHow/Linde-Verfahren) benannte technische Methode, welche die Verflüssigung von Gasgemischen, wie Luft, und einzelnen atmosphärischen Gasen, wie Sauerstoff, Stickstoff und Argon, in großen Mengen ermöglicht und in diesem Sinne der Kälteerzeugung im Temperaturbereich von 77 bis 100 Kelvin (K) dient.

Fun-Facts:

1898

Der schottische Physiker und Chemiker James Devar (https://www.chemie-schule.de/KnowHow/James_Dewar) beschäftigte sich an der Universität von Edinburgh seit den 1870er Jahren mit der Tieftemperaturphysik. In seinen Experimenten benutzte er ab 1874 ein doppelwandiges, evakuiertes Metallgefäß, dessen Eigenschaften jedoch seinen Vorstellungen nur unzureichend entsprach. Darum erfand er 1893 ein doppelwandiges evakuiertes Transport- und Lagergefäß aus verspiegeltem Glas für flüssige Gase, das „Dewar-Gefäß“ genannt wird. Sein Prinzip wird auch heute noch bei Isolierkannen und Behältnissen zum Aufbewahren von Trockeneis und flüssigen Gasen verwendet.

Fun fact:

1899 ließ James Dewar Wasserstoff erstarren und erzeugte dabei mit 14 Kelvin die bis dahin niedrigste jemals in einem Experiment erreichte Temperatur, bei der – mit Ausnahme von Helium – sämtliche Stoffe im festen Aggregatzustand vorliegen.

1949

Durch den Beweis der kryoprotektiven Eigenschaften von Glyzerin (https://www.sciencedirect.com/topics/medicine-and-dentistry/cryoprotectant) beim Tiefgefrieren von Hühnersperma, legte der englische Biologe Ernest John Christopher Polge (16. August 1926 – 17. August 2006) (https://embryo.asu.edu/pages/ernest-john-christopher-polge-1926-2006) im Jahr 1949 im Rahmen seiner Doktorarbeit einen wichtigen Grundstein für den Einsatz der Kryokonservierung in der künstlichen Befruchtung.

Schon im folgenden Jahr schlüpften erstmals Küken aus mit tiefgefrorenen Spermien befruchteten Eizellen – und damit die ersten Wirbeltiere, die auf diese Weise erzeugt wurden. Zwei Jahre später berichtete Polge über hohe Trächtigkeitsraten bei Rindern, die mit Bullensperma befruchtet worden waren, das er über ein Jahr lang eingefroren hatte.

Damit gelang Ernest John Christopher Polge eine wissenschaftliche Pionierleistung, die weitreichende Folgen sowohl für die Tierzucht als auch für die Humanmedizin hatte.

Fun-Fact:

Die künstliche Befruchtung ist heute eine der Grundlagen der industriellen Landwirtschaft und führt vor allem in der Rinderzucht zu erstaunlichen Vielfach-Vaterschaften. So z.B., dass der kanadische Zuchtbulle Hanoverhill Starbuck über den Umweg der Kryokonservierung seiner Spermien weltweit mehr als 200.000 Nachkommen zeugte.

1956

Literatur im Netz:

Frost Survival of Plants: Responses and Adaptation to Freezing Stress
https://b-ok.global/book/2138776/7c6a49

Freezing Resistance in Willows from Different Climates
https://esajournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.2307/1935383

1971

Literatur im Netz:

Survival of mouse embryos after freezing and thawing:
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12058753/

Fertilization Failure of Frozen Mouse Oocytes is not Due to Premature Cortical Granule Release:
https://academic.oup.com/biolreprod/article/46/6/1187/2763289

1991

Der Japaner Dr. Naomi Nakagata entwickelte 1991 mit der nach ihm benannten Nakagata-Methode erstmals eine in der Praxis unkompliziert einsetzbare Technik zur Kryokonservierung von Mausspermien

Mit Hilfe dieser Technik entwickelte er ab 1998 als leitender Professor im Center for Animal Resources and Development (CARD) (http://card.medic.kumamoto-u.ac.jp/card/english/index.html) an der japanischen Kumamoto Universität das „CARD Mouse Bank System“ zur effizienten Archivierung und Verteilung gentechnisch veränderter Mäuse für die medizinische, pharmakologische und wissenschaftliche Arbeit und Forschung.

In den folgenden Jahren knüpfte Dr. Nakagata ein weltweites Netzwerk wissenschaftlicher Zusammenarbeit – beginnend mit dem Jackson Laboratory und dem Medical Research Council (MRC) Harvel in den Vereinigten Staaten über die Chinesische Akademie der Wissenschaften Shanghai bis zum Europäische Mausmutantenarchiv (EMMA) am IEG (Institute of Experimental Genetics) des HelmholtzZentrums München.

Am 31. März 2020 beendete Dr. Nakagata seine 22-jährige Arbeit in der Abteilung für Reproduktionstechnik im CARD. Nicht, um in den Ruhestand zu gehen, sondern im Gegenteil: Mit einem neuen, wegweisenden Projekt wird er seine Arbeit in der Abteilung für Reproduktive Biotechnologie und Innovation – ebenfalls im CARD an der Kumamoto Universität fortsetzen.

Website des Nakagata Lab in Japan mit mehr als 190 Publikationen zum Thema Kryokonservierung und Mausembryonen (englisch):
https://nakagata-lab.weebly.com/

Kumamoto University
Institute of Resource Development and Analysis
Center for Animal Resources and Development (CARD):
http://card.medic.kumamoto-u.ac.jp/card/english/index.html

Links zu Verlags- und Downloadangeboten einzelner Publikationen:

Cryobanking and Recovery of Genetically Modified Mice:
https://link.springer.com/protocol/10.1007%2F978-1-4939-9837-1_16

Simple Transportation of Genetically Engineered Mice via Cold Storage Techniques:
https://link.springer.com/protocol/10.1007%2F978-1-4939-9837-1_17

Superovulation using the combined administration of inhibin antiserum and equine chorionic gonadotropin increases the number of ovulated oocytes in C57BL/6 female mice:
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26024317/

Basic mouse reproductive techniques developed and modified at the Center for Animal Resources and Development (CARD), Kumamoto University:
https://www.jstage.jst.go.jp/article/expanim/68/4/68_19-0070/_article

2005

2009

2019

Das Wollhaarmammut (Mammuthus primigenius) „Yuka“ ist der am besten erhaltene Körper eines prähistorischen Mammuts, der je gefunden wurde. Es wurde 2014 an der Küste von Oyogos Yar etwa 30 Kilometer westlich der Mündung des Flusses Kondratievo in Sibirien gefunden. Ihren guten Zustand verdankt Yuka dem vor Ort seit Jahrzehntausenden herrschenden Permafrost-Klima.

Eine Analyse der Zähne und Stoßzähne ergab, dass Yuka bei ihrem Tod etwa 6-8 Jahre alt war. Obwohl vermutet wird, dass dieses Mammut höchstwahrscheinlich von Löwen oder anderen Raubtieren angegriffen worden war, wurden keine Beweise dafür gefunden, dass die Raubtiere das Mammut getötet hatten.

Der Fund Yukas beflügelte von Beginn an den Traum vieler Wissenschaftler, eine ausgestorbene prähistorische Tierart wie das Mammut „wiederzubeleben“.

Am 11. März 2019 veröffentlichte das japanisch-russische Forscherteam, das intensiv an den Zellen der Mammut-Dame arbeitet, einen Einblick in ihre bisherigen Erfolge:
https://www.nature.com/articles/s41598-019-40546-1